Nennen wir sie einmal Martina. Martina ist 46 Jahre alt.
Martina ist verzweifelt. Es geht ihr seit Jahren – eigentlich ihr ganzes Leben lang – immer wieder längere Phasen schlecht. Sie erkennt heute immer mehr, dass tatsächlich schon ihr ganzes Leben lang ein Schleier der Bedrücktheit und Gebremstheit auf ihr lag.
In den schlimmeren Phasen fühlt sie sich depressiv, schwer, hat körperliche Missempfindungen wie ein nagendes Gefühl in der Brust oder im Bauch, Engegefühle und oft auch Atemnot. Es ist, als ob sie innerlich aufgefressen würde. Sie ist antriebslos, sieht sich selbst in einem abwertenden und schlechten Licht, meint, sie tauge nichts, könne nichts. Dies fühlt sie, obwohl Sie Akademikerin ist und ihren äußeren, beruflichen Weg „gut“ gemeistert hat. Wenn Sie über sich spricht, hört sie oft die Kommentare „du hast doch viel erreicht und stehst gut da. Und schlecht aussehen tust du auch nicht.“ Diese wohlmeinenden Worte helfen ihr leider nicht. Sie zieht sich tendenziell zurück und fühlt in ihrer Innenwelt die altbekannte Unverbundenheit, Einsamkeit, das Gefühl, nicht dazuzugehören. Sie kommt aus diesem Gefängnis nicht dauerhaft heraus, ihre Beziehungs- und Kontaktängste blockieren sie. Es fällt ihr immer wieder sehr schwer, den Kontakt zur Welt und den Menschen zu halten. Sie hat viele Beziehungen gehabt, es ging oft dann „irgendwie“ immer wieder in die Brüche. Martina fühlt sich nicht willkommen, wertlos, unverbunden, sie erkennt keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Verzweiflung beherrschen ihre Gefühle. In all dem ist immer wieder auch Angst, eine diffuse Angst. Ein tiefes Gefühl der Verlassenheit, des Abgeschnitten-Seins. Ganz tief in ihr sitzt eine Scham. Die Scham, schlecht und falsch zu sein. Martina kennt all diese Themen seit ihrer Kindheit, die nicht leicht war. Unangenehm sind ihr zudem die Gefühle von Reizbarkeit, Groll und diffuser Wut – diese sowie deren Stärke kann sie oft nur erahnen und sie bleiben eher angestaut in ihr verborgen. Sie finden keinen Weg nach außen. Sie wüsste auch nicht, wohin damit, denn ihr ist intuitiv klar, dass diese Wut nicht in die Gegenwart gehört, sondern ihrer alten biografischen Wut entspricht.